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Gabriela Oberkofler: Api étoilé – Ein wachsendes Archiv
Kat. Villa Merkel Galerie der Stadt Esslingen
Ausstellungskatalog, hrsg. von Andreas Baur
Texte (dt./eng.) von Andreas Baur, Harald Gasser, Roman Lenz, Christiane Mennicke-Schwarz, Mathias von Mirbach, Marlies Ortner, Elisabeth Pircher, Jan Sneyd und Irina Zacharias
278 S. mit 172 farbigen Abbildungen
Format 28 x 21 cm, Hardcover
ISBN 978-3-86442-346-8
Die Bohne ist der Star
Gabriela Oberkofler widmet sich den Nutzpflanzen und sammelt Samen wie Erfahrungsberichte bezüglich ihres Anbaus und archiviert diese. Nach einer mehrmonatigen Reise von Hamburg bis Bergamo, auf der sie viele Expertinnen und Experten getroffen, interviewt und gefilmt hat, liegt nun mit dem Buch »Api étoilé – Ein wachsendes Archiv« eine elegante wie aufwühlende Dokumentation vor. Ihr Mobiles Saatgutarchiv zu Nutzpflanzen etwa, angelegt als wachsendes und partizipatives Projekt, versammelt in kreisrunden, beschrifteten Petrischalen, eingelassen in MDF-Platten, echte Raritäten. Neben Samen der Spinatsorte Guter Heinrich präsentiert Gabriela Oberkofler beispielsweise Samen des Kopfsalates Maisbutter, des Spargelsalates, der Grünen Gartenmelde oder der Fleischtomate Riese von Omsk und der Anisminze. Neben den umfangreich zusammengetragenen, augenscheinlich jedoch wenig spektakulären Tomatensamen ist die größte Abteilung des Archivs den Bohnen vorbehalten. Welche Schmuckstücke, möchte man sagen, welche Perlen kommen hier zusammen. Zweifarbige Bohnenkörner, Bohnen, die ins Violette spielen, braune neben weißen neben schwarzen, runde oder eher längliche, Bohnen mit zwei- oder dreifarbigen Mustern auf der Außenhaut. Zumeist rechnet man Letztere den Feuerbohnen zu, die auch Käfer- oder – wer will es verdenken? – Prunkbohnen heißen. Was sind das für Auftritte! Man kann ohne Zweifel konstatieren: Die Bohne ist der Star.
Und dann zeichnet die Künstlerin in unnachahmlicher Weise ein inneres Programm des Gesammelten wie Gespeicherten. Seit einiger Zeit nutzt sie dazu beim Zeichnen feine Stifte. Sie bieten lichtechte Tuschen und fanden bei der Serie »Pflanzenpalaver« Verwendung. Die Stifte erlauben es Striche extrem nahe nebeneinander zu setzen, dich an dicht. Das macht das Weben äußerst feiner Texturen möglich. Diese laden die Betrachterinnen und Betrachter zur Nahsicht ein, zum Eintauchen in die grafischen Abbreviaturen. Fast ist es, als verliere man sich in ihnen, als ginge man auf in den sich bietenden dynamischen Schraffuren und detailreichen Strichlagen. Und da nichts – weder Gegenstände noch Pflanzen, Insekten oder Rhizome der Pilze – durch Konturen definiert ist, sondern vielmehr ausschließlich durch verschieden ausgeformte Flächengestaltungen, erscheinen die Zeichnungen zugleich malerisch.
In »Api étoilé« nun geht es deshalb nicht darum, Lösungen und Wege in eine bessere Zukunft vorzugeben. Es geht vielmehr darum, dass vor dem Hintergrund der Einsicht, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, die Bereitschaft wächst, die Sinne zu schärfen und Umwege zu akzeptieren, Ratlosigkeit auszuhalten, das Experiment zu wagen und Neues auszuloten.
Es ist nicht wegzudiskutieren, davon, was ursprünglich die biologische Vielfalt auf Erden ausmachte, ist kaum mehr noch als ein Viertel erhalten. Das ist ernüchternd.
Gerade aber in solch aufgeschlossener Haltung gegenüber dem Notwendigen und Unabsehbaren sind sich Gärtnern und die produktive Praxis der Kunst doch überraschend ähnlich. Mit den je eigenen sprachlichen oder auch strategischen Möglichkeiten gilt es, auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu reagieren. Man muss hier wie dort, beim Gärtnern wie in der Kunst, bereit sein, auszuprobieren, zu beobachten, zu hinterfragen, sich zu wundern, neue Wege zu versuchen – und im besten Fall steht man am Ende vor einer Lösung oder einem beginnenden Prozess oder vor einer Idee, von der man am Vortag noch nicht einmal die Spur einer Vorahnung hat haben können.
Oder wie es Mathias von Mirbach, der Mitbegründer der Solidarischen Landwirtschaft in Deutschland, ganz einfach sagt: »Und das Komische ist: Das alles funktioniert.«
(Andreas Baur in seinem Beitrag im Buch.)
Ausstellung:
Villa Merkel Galerie der Stadt Esslingen, 15/5 – 15/8/2021